Zugegeben, als ich noch ein Grundschüler war und frisch vom Sachkunde-Lehrer aufgeklärt, konnte ich mir nicht vorstellen, dass alte Leute (also ungefähr alles über 40 ;-)) noch Sex haben. Heute weiß ich es zwar besser, doch gesamtgesellschaftlich betrachtet werden Gedanken zu diesem Thema – wenn man nicht gerade eine Zote über notgeile Opas reißt – aber meist vermieden. Der für seine einfühlsamen Meisterwerke bekannten Comic-Autor Zidrou (unvergessen für den Zweiteiler „Die Adoption“ (Link), welcher auch das Erblühen und Verwelken im hohen Alter thematisiert) versucht nun, sich in seiner neuen Graphic Novel mit diesem sensiblen Thema auseinander zu setzen. „das unabwendbare altern der gefühle“ handelt vom werdenden Liebespaar Ulysses und Mediterranee. Er, 59, ist ein frisch in Rente geschickter, verwitweter Möbelpacker mit zu viel Zeit. Sie, 61, betreibt einen Käseladen und hat gerade ihre Mutter zu Grabe getragen. Zwei trost- und freudlose Leben, die gerade an der Schwelle zum letzten Lebensdrittel stehen. Durch einen Zufall kommen sie in einem Arzt-Wartezimmer ins Gespräch. Sie mögen sich, verabreden sich, kommen sich immer näher – Liebe kennt kein Alter, aber Konsequenzen... Die 144 Seiten umfassende Graphic Novel, welche wie immer in hervorragender Druckqualität vom „Splitter Verlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) veröffentlicht wurde, unterteilt sich grob gesagt in drei erzählerische Abschnitte von jeweils ungefähr einem Drittel Buchumfang. Das erste Drittel führt die beiden Bald-Liebenden ein, die gerade beide mit einem schweren Schicksalsschlag fertig werden müssen. Dieses erzählerische ganz und gar hervorragende Drittel verbreitet Trauer und Hoffnungslosigkeit – Und bereitet damit den Boden für den abrupten Stimmungswechsel im zweiten Drittel. Wie Phönix aus der Asche kehren die Lebensgeister zurück, als sie sich kennenlernen und in die Dating-Phase übergehen – Erzählerisch ist auch dieser Abschnitt hervorragend gelungen. Das letzte Drittel fällt dann leider überraschend stark ab: Sie sind jetzt ein glückliches Paar, dass mit den unerwarteten Konsequenzen ihrer Liebe klarkommen muss – Hier suhlt sich die Geschichte zu lange in einer nahezu statischen „feel good“-Atmosphäre, bevor sie ganz kurz vor Schluss noch eine Kitsch-Scheibe drauf legt mit einem (das positivste Wort, das mir einfiel) märchenhaften Plot-Twist. Dieses letzte Drittel lässt mich ein wenig traurig zurück, kommt der urplötzliche Abfall der erzählerischen Qualität doch völlig abrupt. Zidrou versteift sich quasi vollends darauf, die Geschichte auf ein zuckersüßes Happy End hin zu entwickeln – Was umso mehr erstaunt, da er genau die richtigen dramatischen Reibungspunkte anreißt, diese dann aber jeweils in kaum mehr als ein, zwei Sprechblasen abhandelt. Trotzdessen ist „das unabwendbare altern der gefühle“ noch immer eine sehr gute, sehr wichtige Graphic Novel – Aber sie hätte noch so viel besser, so viel wichtiger, so viel relevanter sein können... Konstant hervorragend liefert dagegen Aimée de Jongh ab, deren Zeichnungen maßgeblich zum Lesevergnügen beitragen :-) Fazit: Die Graphic Novel „das unabwendbare altern der gefühle“ (Link) bietet interessierten LeserInnen eine wunderbar gezeichnete und einfühlsam erzählte Liebesgeschichte. Diese ist in den ersten beiden Dritteln ganz hervorragend, im letzten Drittel wird sie aber ein wenig zu stark mit Happy End-Puderzucker überzogen. Nichtsdestotrotz eine dringliche Kaufempfehlung!
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