Als ich die Alters- und Geschlechtsverteilung der Leser postete und einwarf, dass ich bisher bei den Hallensern vom Würfelpech e.V. (Link) den niedrigsten Altersdurchschnitt feststellen konnte, kam die Frage auf wie der noch sehr junge Verein dies geschafft hat. Wo doch allerorts von den "alten Hasen" über vermeintlichen Nachwuchsmangel geklagt wird. Also hab ich mich an den 1. Vorstand und Projektkoordinator Paul gewandt und ihm mal ein wenig auf den Zahn gefühlt :-) Hallo Paul, bitte stell Dich, den Verein und Deine Funktion dort doch mal vor?
"Guten Tag Philipp, danke dass ich heute hier sein kann. Bei meiner Vielheit handelt es sich um den 1. Vorstand des Würfelpech e.V. aus Halle (Saale). Wir sind ein nunmehr zweieinhalb Jahre junger Verein, der für die Jugend, Nerds und Spiele abseits vom Bildschirm steht. Dafür haben wir einen offenen Jugendtreff eingerichtet, in dem jedem die Möglichkeit geboten wird, sich in alles was Spaß macht zu stürzen. Brettspiele, klein und groß, Tabletops, Sammelkartenspiele und natürlich Pen&Paper. Derzeit haben wir 65 Mitglieder, von denen etwas mehr als die Hälfte regelmäßig aktiv im Verein sind, die andere teilt sich auf Gelegenheitsbesucher und die auf, die den Verein passiv ("passiv" hier mit "Beiträge" geschrieben) unterstützen. Ich selbst bin (Langzeit-)Lehramtsstudent, 25 Jahre und Single. Falls also jemand Interesse an romantischen Charaktererstellungsrunden oder Candle-Light Würfeln hat: Ich hab kein Interesse. Zwischen den ganzen P&P Runden, Tabletops, der Vorstandsarbeit und... dem... ah, es liegt mir auf der Zunge... achja, dem Studium, hab ich keine Zeit für noch was. Als Vorstand hab ich (und jeder andere Vorstand) zwar meine festen Aufgaben, aber wie das halt so ist fließt das immer sehr stark ineinander. Ganz konkret bin ich für den Inhalt fast aller unserer Publikationen und Werbungsmaterialien zuständig, die Einführung von Frischfleisch, den Kontakt zu anderen Einzelpersonen, Gruppen und Vereinen und unser Jugendprojekt."
Nach meiner Erfahrung habt ihr bei euren Veranstaltungen, egal ob auf der HallunkenCon oder bei "normalen" Spielertreffs, einen vergleichsweise niedrigen Altersschnitt. Wie schafft ihr es, so vielen und jungen Spielernachwuchs zu finden?
"Haben wir das? Ich habe wenig Vergleich zu anderen Vereinen unserer Art. Tatsächlich fühlt es sich für mich manchmal älter an, als ich es gern hätte... Aber wenn du das sagst und ich vermuten müsste, dann liegt es wohl an drei Dingen: 1. Wir mieten in einem Haus mit vielen anderen Jugendvereinen. Der rege Fluß und Austausch hilft und sei es nur die passive gegenseitige Anwesenheit. Wobei das sich gerade ändert, das Haus wird leerer und auch wir ziehen bald in etwas Größeres um. 2. Oft hatten wir die Gelegenheit an den richtigen Stellen zu sitzen. Eine Rede vor den Erststudenten hier, ein Kindergeburtstag dort und viel, viel Mundpropaganda. 3. Vor einem halben Jahr ist unser erstes Jugendprojekt gestartet, bei dem wir an der Georg Cantor Gymnasium mit den Jugendlichen Rollenspiele spielen. Das hat gerade in den letzten Monaten zu einer massiven Verjüngung geführt."
Das klingt interessant. Wie funktioniert Euer Schülerprojekt konkret?
"Einmal die Woche spielen die Schüler eine Runde Pen&Paper. Derzeit haben wir 3 Runden, die jeweils 2-3 Stunden dauern. Das ganze findet meist nach und in der Schule statt. Am Anfang waren das noch kurze Kampagnen mit 4 bis 5 Nachmittagen, vorgefertigten Charakteren und vereinfachten Regeln. Zum Beispiel hat die DSA 4.2 Runde "Savage Worlds"-Regeln benutzt und in der L5R Runde wurden die komplexeren Regeln erst nach und nach eingeführt. Die Runden waren zu dem Zeitpunkt auch inhaltlich darauf ausgelegt den Schülern die Welten und Systeme Stück für Stück näher zu bringen. Das hat ziemlich gut geklappt. Direkt vor und in den Ferien hatten sie noch One-Shot Wochen, um die Runden zu mischen und dafür zu sorgen, dass sich alle Teilnehmer auch untereinander kennen lernen können."
Wie ist das Feedback der Teilnehmer, der Lehrer und auch der Eltern? Und was schätzt Du, wie viele Teilnehmer werden dann wirklich Rollenspieler?
"Von den 13 Schülern, 4 Mädchen und 9 Jungs, sind alle begeistert von dem Projekt und wir Meister von Ihnen. Ich übertreibe nicht, wenn ich das sage. Wir, das sind Jenny, Teresa und ich, die Projektleiter, haben uns davor Gedanken gemacht, was Schüler so alles machen könnten, um das Projekt zu behindern. Zu spät kommen, kurz vorher absagen, andauernd ihr Zeug vergessen, Powergaming, andauernd unterbrechen, vielleicht sich sogar mobben. Davon ist nichts eingetreten. Tatsächlich sind alle Schüler mit so viel Liebe, Leidenschaft und vor allem Respekt dabei, dass mir ganz warm wird. Sie geben sich redlichste Mühe ihre Rolle zu spielen, gerade die 12/13 Jahre alten Jungrollenspieler. Als ich meinen Runden z.B. die Möglichkeit geboten habe, selbst etwas zur Geschichte in Form von Tagebucheinträgen, Briefen an ihre Verwandten oder NPCs, die ihre Gruppe begleiten, beizusteuern hat jeder einzelne etwas innerhalb von zwei Wochen gehabt. Zwei von ihnen haben mit Schwertkämpfen angefangen und zwei andere möchten selbst demnächst ihre ersten Runden meistern. Außerdem möchten alle Teilnehmer, angeführt von 2 Mädels, dass wir das ganze über den Projektrahmen erweitern und es z.B. in ihre Schulprojektwoche aufnehmen. Die stellvertretende Schuldirektorin Frau Schapitz selbst gefällt das ganze auch. Laut ihr ist das beste daran, dass wir das ganze unter Kontrolle haben und sie wenig machen muss. Tatsächlich würde sie uns für die Projektwoche sogar die Aufsicht überlassen und steht einer Erweiterung des Projektes sehr positiv gegenüber. Achja und eine Aufwandsentschädigung erhalten wir ab dem zweiten Halbjahr dafür. Die Eltern habe ich bei weitem noch nicht alle kennen gelernt. Einer von ihnen kommt jetzt selbst regelmäßig in den Verein. Die anderen Eltern scheinen zumindest kein Problem damit zu haben, wenn ihre Kinder bis zum Anschlag im Verein zu sein."
Ihr habt noch weitere interessante Veranstaltungen, z.B. das Rollenspiel-Speeddating (Link) welches einiges Echo in der Szene hervorgerufen hat. Was dürfen sich die Leser darunter vorstellen?
"Die Idee dazu kam mir im Dezember. Wir hatten eine Vorstandssitzung und ich habe bei einem Thema, das meinen Aufgabenbereich nicht betroffen hat, ein wenig abgeschaltet und die Gedanken schweifen lassen. Aus dem Nichts kam mir dann das Wort Rollenspielspeeddating in den Sinn. Mehr als der Name war mir nicht klar, aber spätestens als ich rausfand, dass Valentinstag dieses Jahr auf einen Sonntag fiel, war mir klar, dass das gemacht werden musste. Es gibt viele neue Rollenspielenthusiasten (Singles sozusagen) in Halle, nicht zuletzt durch unsere Con. Leider gibt es nicht genug freie Meister. Wir wollen mit dem Rollenspielspeeddating sowohl vielen Leuten viele Systeme vorstellen, als auch diese Spieler in Runden zusammenführen und hoffen darauf, dass sich neue Meister herauskristallisieren. Anstatt jedoch die Systeme von außen darzustellen, personifizieren die Kenner der jeweiligen Welten sie. Mister DSA könnte sich zum Beispiel so vorstellen: "In einer Beziehung such ich nach jemandem, der sich Zeit für mich nimmt und mich richtig gut kennen lernt, denn sonst kommt es nur zu Streitereien. Ich selbst habe an vielen Dinge Interesse und mache alles mit. Nur einfach zu verstehen bin ich leider nicht, aber wenn du erst mal weißt, wo du mich wie anzufassen hast, wirst du deine wahre Freude haben." Dann können die Singles entscheiden, ob ihnen das System zuspricht und wenn jeder mal mit jedem hatte teilen wir das ganze in Runden ein. Diese spielen dann eine kurze 2 Stunden Session, um einander im Rahmen ihres bevorzugten Systems näher kennen zu lernen. Jede Runde, die sich gefällt, kriegt dann von uns alles zur Verfügung gestellt um selbstständig zu werden. Wir haben weitere Einstiegsabenteuer zum Mitnehmen vorbereitet, die Regelbücher stehen zur Verfügung, eine Musikbibliothek kann sich genommen werden und unsere Meister werden mit Rat und Tat zur Seite stehen."
Überregional bekannt seit ihr zweifelsohne besonders durch die HallunkenCon (Link), welche nun zweimal in Folge als Con des Jahres ausgezeichnet wurde. Herzlichen Glückwunsch. Wie habt ihr das geschafft, buchstäblich von Null auf Hundert?
"Danke danke, Philipp. Ich war schon ein wenig stolz auf die Trophäe. Tja, wie... mir fehlt der Vergleich zu anderen Conorganisationsabläufen, darum kann ich nicht sagen, was wir anders oder besser machen. Erst mal sind da die üblichen Zutaten. Arbeit, Fleiß und eine stoische Einstellung, wenn es mal nicht läuft (letzteres halte ich für am wichtigsten). Dazu kommt eine Prise Liebe zum Hobby und einige geniale Einfälle. Hier und da noch etwas Glück und fertig ist der Erfolg. Das machen auch andere, da bin ich mir sicher, denn wir alle lieben unser Hobby. Hmm... Ich denke, im Endeffekt ist es ganz simpel: Die Mitglieder vertrauen dem Vorstand und wir nutzen die Mittel, seien es Geld oder Mannstärke, mit Respekt. Das funktioniert. Wenn es mal nicht läuft, werden die Zähne zusammen gebissen und der Würfelbecher gefüllt. Egal wie viel wir über Beitragsrückstände und die gelegentliche Unzuverlässigkeit jammern, am Ende des Tages läuft es meist so: "He Nils, kannst du spontan mal Toast, Käse und Wurst kaufen?" -"Geht klar." "He Paul, kannst du morgen Neulingen Tabletop näher bringen?" -"Geht klar." "He Christian, kannst du dieses Wochenende zum Putzen kommen?" -"Geht klar." "He Teresa, kannst du übermorgen zum Fotografien vorbeikommen?" -"Geht klar."
Vielen Dank für die Informationen. Ich freue mich schon auf die "HallunkenCon" und weitere eurer Veranstaltungen :-D
"Ich danke dir für das Interview und wünsche dir noch einen schönen Abend"
UPDATE: Das Jugendprojekt des Würfelpech e.V. steht für einen Jugendengagementpreis (Link) zur Auswahl. Die Abstimmung ist ab jetzt bis Ende Mai. Jeden Tag darf man für bis zu drei Projekte abstimmen! Zitat von der Abstimmungsseite (Link):
"#36 Würfel und Spiele Wenn sich Jugendliche und junge Erwachsene in ein Café setzten oder zusammen durch die Stadt laufen, dann ist der Griff zum Telefon schnell getan. Geredet wird häufig über den Handyrand hinweg, interessant ist, was auf Facebook steht. Zu Hause wird dann meist der Computer eingeschaltet, ein Tweet verfasst oder World of Warcraft gespielt. Aus diesem Grund, wollten die Mitglieder des Projekts mit Jugendlichen in einer Schule Pen&Paper Rollenspiele entwickeln. Sie nutzen so ihr eigenes Hobby um Jugendliche an alternative Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung heranzuführen. Bei den Rollenspielen handelt es sich um interaktive Geschichten, in denen die Schüler*innen eine selbst erdachte Rolle übernehmen. Man kann Ritter sein oder Zauberer, Elf oder Ork. Von außen betrachtet sitzen ein paar Personen an einem Tisch und machen nichts weiter als reden, aber innerhalb der Gruppe geht es um Heldentaten, schwierige Entscheidungen und oft auch um die Konsequenzen unserer Handlungen. Die Teilnehmenden begegnen sich dabei sowohl persönlich, als auch in einer Phantasiewelt, müssen einander in die Augen schauen, einander verstehen, zusammenarbeiten und Lösungen für schwierige Situationen finden. Dabei üben sie logisches Denken, Kooperation, Einfühlungsvermögen und strategisches Denken. Nach einem halben Jahr Projektlaufzeit wollten sowohl die Teilnehmenden als auch die Anleitenden das Projekt fortsetzen und treffen sich nun weiter im Rahmen einer AG um auch im aktuellen Schulhalbjahr gemeinsam der Phantasie freien Lauf zu lassen und Geschichten zu erdenken."
Tags