Der kleine, aber feine Verlag der Podcast-Kollegen von „System Matters“ ist besonders bekannt für seine kleinen, aber feinen und zudem auch mehrfach preisgekrönten Indie-Erzählspiele. Hier stehen keine komplizierten Regelmechaniken, sondern das erzählorientierte Erlebnis im Vordergrund – Und doch gibt es eine mannigfaltige Varianz an Probenmechanismen: Von klassischem W6-Überwürfeln (“Geh nicht in den Winterwald“ (Link)) über reine Sprachregelungen ("Die Liebe in den Zeiten des Seiðr“ (Link)) bis hin zur Einbindung von Geschicklichkeitsspielen (“Dread“ (Link)) ist alles dabei. Darum stellte sich für mich primär die Frage, welche Spielmechaniken sich hinter dem Malerei-Erzählspiel „Ein ruhiges Jahr“ verstecken würde? Ein Malerei-Erzählspiel, was soll denn das sein??? Ganz einfach gesagt: Ein Erzählspiel, bei dem man ziemlich viel malt ;-) Aber fangen wir mal ganz von vorn an: In „Ein ruhiges Jahr“ verkörpern die SpielerInnen eine Gruppe Überlebender, die versuchen, eine neue Zivilisation aufzubauen. Dafür haben sie bis zu einem Jahr Zeit, dann kommen die Frosthirten und das eigentliche Spiel endet abrupt. Wer oder was genau diese Frosthirten sind und welche Katastrophe überhaupt den Wiederaufbau der Zivilisation notwendig macht, bleibt der Phantasie der SpielerInnen überlassen. Die (nebenbei bemerkt wie immer sehr stylische) grafische Gestaltung des Regelbüchleins weckt aber am ehesten Assoziationen mit einem postapokalyptisch-dystopischen Szenario. Die SpielerInnen übernehmen dabei gleich zwei Rollen. Interessanterweise (und eher Erzählspiel-untypisch) ist keine dieser beiden Rollen die einer konkreten Person. Stattdessen ist man einerseits so eine Art Aufbaustratege, der sich aus der Vogelperspektive um das Wohlergehen der Überlebenden bemüht. Und andererseits verkörpert man sozusagen die Spielleitung, die neue Probleme, Herausforderungen und Handlungsverläufe ins Spiel bringt. Klingt ungewöhnlich? Ist es auch :-P Aber wie funktioniert das Spiel nun genau? Nach der Zusammentragung des Spielmaterials (Stift & Papier, Ärgersteine/Marker, sechs W6 und einen Satz französischer Spielkarten) trennt man den Kartenstapel nach seinen vier Farben. Diese symbolisieren dann die vier Jahreszeiten. Und schon geht es los mit der Malerei: Die SpielerInnen sprechen über die Gegend, in der das Spiel stattfinden soll, und malen die Entscheidungen auf das als Landkarte fungierende, anfangs noch leere Blatt Papier (z.B. „Unsere Überlebenden leben in einem Wald“ → Bäume einzeichnen). Dann werden die wichtigen Ressourcen der Überlebenden festgelegt und man einigt sich, welche davon im Überfluss auftreten und an welchen es mangelt (z.B. „Wasser im Überfluss, fehlende Sicherheit vor Räuberbanden als Mangel“ → Man zeichnet einen See oder einen Fluss ein sowie böse guckende Strichmännchen, zudem notiert man dies auf einer Karteikarte). Die Zeichnungen müssen auch keine Meisterwerke sein, man soll halt nur erkennen, worum es geht ;-) Wenn das alle SpielerInnen gemacht haben, hat man schon ein interessantes Szenario für den Aufbau der Zivilisation. Und dann beginnt das eigentliche Spiel: Abwechselnd zieht man eine Spielkarte vom Stapel, was sozusagen die Herausforderung der Woche darstellt. Wer dies getan hat, darf nun eine der beiden Optionen (manche rein narrativ, etwa „Was für ein gutes Omen seht ihr?“, mache spielrelevant, etwa „Ein Projekt wird sofort abgeschlossen“) auswählen, welche diese Karte symbolisiert. Außerdem darf man dann eine Aktion durchführen: Entweder etwas Neues entdecken (was man dann wieder auf der Landkarte einzeichnet), ein neues Projekt beginnen (wobei die Gruppe die erwartete Dauer von bis zu sechs Wochen festlegt, der Projektfortschritt wird dabei durch die W6 dargestellt) oder eine Diskussion zu einem konkreten Thema abhalten (wobei jeder nur einmal etwas sagen darf, also mehr ein Benennen des Standpunktes und weniger eine echte Diskussion). Nun kann es durchaus mal zu unterschiedlichen Meinungen kommen, etwa welches Projekt begonnen/abgebrochen werden soll oder welche narrative Entwicklung der Wiederaufbau der Zivilisation einschlägt. Das böte Stoff für elendig lange Diskussionen, doch stattdessen wird der sprachliche Austausch arg begrenzt und letztendlich entscheidet immer der/die in dieser Woche Aktive. Andere Meinungen werden stattdessen durch die Sammlung von Ärgersteinen/Markern ausgedrückt, welche einerseits das gesellschaftliche Klima darstellen (wenn sich die Entscheidungen wieder in die gewünschte Richtung bewegen, kann man die Ärgersteine als Zeichen des Guten Willens wieder abgeben) und welche andererseits dafür ausgegeben werden können, um selbstsüchtige/kontraproduktive Aktionen zu rechtfertigen. Und damit kommen wir auch schon zum Fazit und der Frage: Macht das denn jetzt überhaupt Spaß? Mir persönlich schon, ich finde dieses kleine, 72 Seiten umfassende Spielchen ungemein unterhaltsam und ziemlich innovativ :-D Wie man hier an einem Abend den Aufstieg und Fall eines postapokalyptischen Dörfchens begleitet, das hat seinen ganz eigenen Reiz. Aber, und das sei in aller Deutlichkeit gesagt, man muss sich mit diesem ungewöhnlichen Regelkonzept anfreunden können: „Ein ruhiges Jahr“ (Link) ist weniger ein klassisches Erzählrollenspiel, sondern vielmehr ein spannendes Aufbaustrategiespiel, bei dem man (durch die Regeln recht stark limitiert) noch ein wenig Drumherumlabert, damit das Ganze einen narrativen Unterbau bekommt.