Früher, in der guten alten Zeit, war alles viel züchtiger? Zumindest für „Die 7 Abschiedsbriefe des Mr. Pomeroy“, dem neusten Abenteuerband für das viktorianische Detektiv-Rollenspiel „Private Eye“, trifft diese Aussage nicht zu. Denn die Spieler müssen nicht einfach nur einen mysteriösen Mordfall im englischen Landadel aufklären, sondern kommen auch noch ziemlich bizarren Familienverhältnissen auf die Spur. Dabei stellt mich der mittlerweile neunte Teil als Rezensent vor eine enorme Herausforderung: Eigentlich jegliche Story-Beschreibung, die über den kurzen Klappentext des 48 Seiten starken DIN-A4-Softcovers hinausgeht, wäre schon ein massiver Spoiler und damit wichtiger Hinweis für die ermittelnden Spieler. Andererseits jedoch muss man eben genau diesen Hintergrund wissen, um zu verstehen warum ich so von diesem Krimi-Abenteuer begeistert bin. Ich versuche mal einen Mittelweg zu finden: Edward Pomeroy, Abenteuer und Lebemann, eröffnet der entsetzten Familie sich von seiner zweiten Frau scheiden zu lassen, um seine Geliebte zu heiraten. Als wäre das für die verarmte und entmachtete Landadelsfamilie nicht genug Dramatik, wird Mr. Pomeroy am nächsten Tag tot aufgefunden. Und das gleich an zwei unterschiedlichen Orten! Als dann auch noch 7 Abschiedsbriefe auftauchen, werden die Spieler vom überforderten (und natürlich Spuren verwischenden) Dorfpolizisten zu Hilfe gerufen. Nur um jetzt das Offensichtliche zu spoilern: Natürlich ist nur einer der beiden Toten der Mr. Pomeroy :-) Auch dass es sich in beiden Fällen um Mord handelt dürften die Ermittler recht zügig herausfinden. Aber werden sie den Mörder finden, bevor er wieder zuschlägt? Und werden sie die Hintergründe aufdecken, welche dramatischer sind als jede Seifenoper im TV-Abendprogramm? „Die 7 Abschiedsbriefe des Mr. Pomeroy“ bietet prinzipiell ein klassisches Deduktionsabenteuer. Mit gewissenhaften Tatortbesichtigungen, Zeugenbefragungen und Leichenuntersuchungen sollte es eigentlich nicht schwer sein, den Mörder von Mr. Pomeroy zu entlarven. Der Fall des zweiten Mordopfers ist da schon ein wenig verzwickter ;-) Interessant werden die Ermittlungen besonders dann, wenn sich die Spieler mit den Hintergründen des Falls beschäftigen, welcher sicher bei vielen Spielern einen heftigen WTF?-Moment auslösen wird :-D Lobenswert ist, dass dem Spielleiter in diesem Abenteuer sehr viel Hilfestellung gegeben wird: Eine ganzseitige Übersicht der komplexen Beziehungsverhältnisse findet sich ebenso wie vier Seiten Zusammenfassung aller Zeugenaussagen und Spuren. Die gesamte Familie Pomeroy sowie die anderen wichtigen NSCs sind auf acht Seiten detailliert in Aussehen, Persönlichkeit und Verhalten ausgearbeitet. Zusätzlich sind sechs Seiten mit Kopiervorlagen und Handouts enthalten. Wirklich vorbildlich, trotzdessen jedoch wird der Spielleiter nicht umhin kommen sich detailliert vorzubereiten. Die „Redaktion Phantastik“ (Link auf ihre ENDLICH überarbeitete Homepage) hat auch beim neunten Abenteuerband wieder bewährte Qualität abgeliefert: Der bunte Softcover-Umschlag ist atmosphärisch und macht Lust auf den Kriminalfall. Der Innenteil bietet kontrastreiche schwarz/weiß-Seiten mit gut lesbaren, zweireihigen Texten und atmosphärischen Bildern. Layout und Lektorat haben auch wieder gut gearbeitet, mir sind nur 2 oder 3 eher unwichtige Fehlerchen aufgefallen. Das DIN-A4-Büchlein, welches mir dankenswerterweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt wurde, kostet 12,95 €. Für so ein kleines Nischensystem ist das in Ordnung. Fazit: Ein absolut typischer „Private Eye“-Kriminalfall im positivsten Sinne. Ihn zu lösen wird den Spielern viel Freude bereiten, die Hintergründe zu erforschen wird ihnen einen echten WTF?-Moment bescheren. Da auch die Druck- und Textqualität stimmt, hab ich hier einfach nix zu meckern :-D