Von all den deutschen Rollenspielen, die in der letzten Dekade das Licht der Welt erblickten, ist „Ultima Ratio“ (Link zur ausführlichen Podcastfolge mit dem Entwickler Nikolas Tsamourtzis) wohl das unterschätzteste. Aber zugleich auch eines der wandelbarsten, denn mit der richtigen Grundregelwerk-Settingband-Kombination kann man von einem WildWest-Endzeit-SciFi-Mix (im Ödland von „Auda“ (Link)) über „puren“ Cyberpunk (z.B. in den auda'ischen Städten, aber auch in „Harlands Loch“ (Link)) bis hin zum Space-Trucker-Roadmovie (mit dem „Cargopunk-Basisbuch“) so ziemlich alle SciFi-Subgenres erleben. Das grundlegende W4-Würfelpool-Regelsystem funktioniert aber auch fernab des Weltraums, denn mit „Mytholoria“ erschien nun quasi die Fantasy-Variante, welche sich mit einigen spannenden Setting-Ideen wohltuend vom EDO-Einheitsbrei abhebt.
 

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Auf der Titelseite des rund 80 Seiten dickes Hardcovers prangt neben dem Titel die verheißungsvolle Ankündigung „Das postapokalyptische Fantasy-Rollenspiel“. Das postapokalyptisch bezieht sich dabei primär auf die Hintergrundgeschichte, denn vor langer Zeit war die Welt Arkada mal ein echtes Paradies, über welches die Götter und Göttinnen ihre schützende Hand hielten. Aber es kam, wie es kommen musste, denn das sterbliche Fußvolk wandte sich erst von ihren Göttern ab – was die mal so gar nicht cool fanden, weshalb sie Rache nahmen – und dann auch noch feindlichen Göttern zu. Danach war das Paradies zerstört, aber wenigstens ein paar Küstendörfer haben überlebt. Und aus denen wurden kleine Stadtstaaten, welche die Ausgangspunkte für die Erforschung der zerstörten Welt bilden. Noch mächtiger wurde allerdings die Kirche, welche alles dafür tut, damit sich Arkada wieder dem Glauben zuwendet...
 

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Küstendörfchen, die zu Stadtstaaten werden, in einem antiken Setting voller Götter? Schon allein diese kurze Beschreibung reicht vermutlich aus, damit jeder Rollenspiel-Fan eine mehr oder minder deutliche Assoziation zum antiken Griechenland bekommt. Wenn man dann auch noch die durchweg ansprechenden Zeichnungen gesehen hat, ist man direkt drin in dieser altgriechischen Fantasy-Welt. Also okay, da laufen dann halt fünf verschiedene Alien-Völker aus „Ultima Ratio“ rum, aber wenn man als Spielleitung den „Mythaloria“-Neulingen sagt „Stellt euch die Spielwelt wie das antike Griechenland vor“, dann können sie sich ziemlich schnell in die Spielwelt einfühlen. Und solch eine „realweltliche“ Hilfestellung ist auch nötig, denn das Grundregelwerk (in der englischen Variante sehr treffend als „Starter Book“ bezeichnet) gibt auf rund zwei Dutzend Seiten einen eher groben Rundumschlag des Settings und der Völker, ohne zu sehr ins Detail zu gehen.
 

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Tiefer wird auf das Regelsystem und die Charaktererschaffung eingegangen, welche sich nicht gravierend von „Ultima Ratio“ unterscheiden. Ein W4-Pool wird gebildet aus zwei verschiedenen Charakterwerten (beispielsweise Attribut + Fertigkeit oder Profession + Spezialfertigkeit), damit muss man einen Zielwert erreichen. Dazu gibt es noch ein paar Sonderregeln, denn „Mythaloria“ ist schon eher simulationistisch, aber die alle zu beschreiben würde jetzt den Rahmen sprengen. Interessant ist jedenfalls, dass Nikolas Tsamoutzis wieder besonderen Wert darauf legt, dass die Charaktere auch „gegen sich selbst“ kämpfen. Im Vorwort beschreibt er dies mit „Es [Mythaloria] setzt seinen Schwerpunkt auf die persönliche Weiterentwicklung der eigenen Spielfiguren – sowohl in ihrem Können als auch in ihren psychischen Eigenschaften – ganz im Stile antiker Epen.“... Zugegebenermaßen bin ich bei meinem Testspiel nicht bis zur epischen Charakterweiterentwicklung gekommen, aber ich kann dem Regelsystem durchaus attestieren, dass der Spielfluss ziemlich ordentlich ist, sobald man sich ein wenig in die Mechaniken hineingefuchst hat. Für die versprochene „Epicness“ war das Beispielabenteuer aber zu dünn, man geht halt einer Spur nach und killt den Endboss; für eine kurze Proberunde an einem Spieleabend taugt es jedoch durchaus. 
 

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Die Präsentation ist, wie bei allen Produkten aus dem „Heinrich Tüffers Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte), wieder wirklich ansprechend. Hübsche Zeichnungen, ein nettes Layout, ein gutes Korrektorat und ein solides Lektorat – Für nicht mal 30 € bekommt man tatsächlich einen guten ersten Eindruck davon, was „Mythaloria“ (Link) so zu bieten hat. Noch ein paar spannendere Abenteuer(kampagnen) und ein tiefergehender Settingband, dann dürfte dieses Rollenspiel für Fantasy-Fans ein ebenso großer Geheimtipp werden wie es „Ultima Ratio“ für SciFi-Fans ist.