Ich neige ja dazu mich zu wiederholen, aber sowohl „Die Klabauter Chroniken“ (Link) als auch „Durch Sand und Sturm“ (Link) gehören für mich zu den großen Rollenspiel-Überraschungen der letzten Jahre. Denn gleich mehrere gut geschriebene, spaßige Solo-Spielbücher auf den Markt zu werfen, noch dazu im Selfpublishing, ist bisher nur sehr wenigen Autorinnen und Autoren gelungen – Das letzte vergleichbare Selfpublishing-Qualitätsspielbuch, nämlich „Der Weg der Wachtel“ (Link), ist auch schon wieder fast zehn Jahre alt. Und auch wenn ich nie solche Lobeshymnen anstimmen konnte wie die Klabauter-Fans auf Amazon (4,9/5 für den Auftaktband ist da die schlechteste Wertung! Der Nachfolger und dieser Band stehen aktuell bei glatten 5/5), fand ich doch sehr viel Lob. Mal schauen, ob dies auch beim dritten (und vermutlich, aber hoffentlich nicht) letzten Band so sein wird...
Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass das Autoren-Ehepaar Barbara & Tobias Riedel (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) zum vorläufigen Abschluss massiv aufgefahren hat. Denn mit 540 Seiten ist der dritte Band fast schon doppelt so dick wie die anderen beiden Bände (307 bzw. 321 Seiten). Wobei hier ein klein wenig gemogelt wird, denn effektiv sind sogar weniger Spielbuchabschnitte enthalten, nämlich 317 gegenüber jeweils 342. Aber das ist in diesem Fall gar kein Kritikpunkt, werden diese Vielzahl an Seiten doch dafür genutzt, die einzelnen Spielbuchabschnitte deutlich ausführlicher auszubreiten. Ein deutliches Plus für die Atmosphäre, denn noch viel mehr als bei den Vorgängerbänden taucht man hier in die Piraten-Welt der LARP-Truppe ein, auf deren Con-Erlebnissen die Geschichte aufbaut. Diesmal verkörpert man den jugendliche Angestellten eines umherziehenden Badehauses, welcher durch einen glücklichen Zufall und etwas Initiative zur „Krabbe“ wird, also einem Klabauter-Azubi. Und als solcher erlebt man eine Vielzahl Abenteuer, um am Ende zu einem vollwertigen Crew-Mitglied aufzusteigen... Wie immer gliedert sich die Geschichte dabei in drei Kapitel auf:
1. Denn wer nichts hat... kann auch Pirat werden, weshalb man zu Beginn erste Kontakte knüpft und eine kleine Seeschlacht meistert.
2. Anschließend geht es zu so einer Art Ritterturnier. Und für den Sieg ist es egal, Ob hoher Stand, ob Niedrigstand...
3. Zuletzt wird es – selbst für ein Piraten-Abenteuer – ungewohnt blutig. Denn in einer Hafenstadt ringen mehrere Machtgruppen um die Herrschaft der Unterwelt. Aber ein Klabauter marschiert nicht alleine!
Vielleicht fällt bei der sehr kurzen Zusammenfassung der Kapitel bereits auf, dass „klassischer Piratenkram“ hier deutlich weniger vertreten ist, als man es von einer thematisch so angelegten Geschichte eigentlich erwarten würde. Aus der Sicht eines Außenstehenden ist mir natürlich klar, dass die auf LARP-Geschehnissen basierenden Abenteuer schon deshalb nicht aus immerwährenden Schiffseroberungen bestehen können, weil es nicht so viele LARP-Seeschlachten mit echten Dreimast-Segelschiffen gibt (glaub ich zumindest). Aber wenn sich mindestens die letzten beiden der drei Kapitel so anfühlen, als könnten sie auch in einem x-beliebigen Mittelalter-Setting spielen, dann ist das zumindest für Hardcore-Piraten-Fans etwas ernüchternd. Wobei man der Fairness halber natürlich anmerken muss, dass der gleiche Kritikpunkt auch schon auf den zweiten Band zutrifft. Dort fiel es aber nicht ganz so krass auf, weil das Nahost-Setting etwas exotischer war.
Gleich geblieben gegenüber dem zweiten und auch dem ersten Band ist das simple W20-Regelsystem, bei dem Zielwerte unterwürfelt werden. Geht es um Schaden oder Zufallsereignisse, wird dies per W6 ermittelt. Soweit, so klassisch, auch wenn mich erneut die rein würfelbasierten und damit ausschließlich glücksabhängigen Zufallsereignisse gestört haben. Das ist spielmechanisch aber auch der einzige Kritikpunkt, denn ansonsten funktioniert sowohl das Kampfsystem (inklusive rudimentärer Inventarverwaltung) als auch das eigentliche Spielbuch-Konzept (am Ende mancher Abschnitte darf man sich den nächsten Abschnitt aussuchen, falls man ihn nicht auswürfeln muss) völlig reibungslos. Wer noch nie Kontakt zu einem Spielbuch hatte, wird hier keinesfalls überfordert sein 😉
Ansonsten gibt es eigentlich gar nicht mehr viel zu schreiben, denn der dritte Band bietet einfach nur mehr vom Altbekannten und damit mehr vom Guten. Doch halt, zwei kleine Innovationen gibt es noch, nämlich eine gute und eine schlechte. Gut und sehr atmosphärisch sind definitiv die zugehörigen Lieder, auf welche man an den zugehörigen Stellen mittels QR-Code verwiesen wird. Schlecht, wobei das natürlich mein rein subjektives Empfinden ist, ist dagegen eine Exekutionsszene gegen Ende des Buches. Klar, Piraten sind keine Heiligen, aber (so ich es nicht in den letzten beiden Bänden übersehen habe, denn es gab und gibt wieder mehrere Handlungspfade und damit einen hohen Wiederspielwert) bisher hatte ich immer den Eindruck, als wären die Klabauter eigentlich ganz okaye Typen und Mädels. Schade, dass dieser gute Eindruck jetzt auf den letzten Metern getrübt wurde, auch wenn das natürlich gut zum Piraten-Setting passt.
Fazit: Deutlich mehr vom Guten! Und noch immer bin ich sehr beeindruckt, was zwei motivierte Schreibende im Alleingang auf die Beine stellen konnten. Da es spielmechanisch aber keine Innovation gab und ich die Geschichte diesmal über weite Strecken als recht generisch empfand, steht „Die Klabauter Chroniken: Heimatland“ doch hinter dem grandiosen und kompakteren Auftaktband zurück.