Über die Anthologie-Serie „Conquest“ muss ich hier in der Einleitung ja nicht mehr viel schreiben: Voneinander unabhängige SciFi-OneShots, in denen es darum geht, dass menschliche Flüchtlinge weit entfernte Planeten gewaltsam besiedeln. Das kann richtig viel Spaß machen (Jean-Luc Istin mit Military-SciFi (Link) und US-patriotischer Balleraction (Link)) oder aber eher mittelspannend in die Special-Interest-Richtung gehen (Nicolas Jarry mit einem Familiendrama (Link) und Japano-SciFi (Link)). Der letzte Band des 1. Zyklus wurde nun von beiden Autoren geschrieben und da war ich natürlich nochmal besonders gespannt, welche kreative Qualität sich hier nun durchsetzen würde...
Auch der Abschlussband beginnt mit der üblichen Ausgangssituation, nämlich dass die menschliche Flüchtlingsflotte (diesmal übrigens die Kanadier) an ihrem Zielplaneten angekommen ist. Doch leider entspricht Enorus so gar nicht der den Erwartungen: Eiskalt und mit einer toxischen Atmosphäre ist er so gar nicht als neue Heimat geeignet. Was also tun? Die Treibstoffvorräte sind fast aufgebraucht und von den anderen Raumflotten (hier wird erstmals in der Reihe ein Querverweis auf die anderen Bände gegeben) hört man auch keine Erfolgsmeldungen... Der Admiral der Flotte sieht nur einen Ausweg: Sämtliche Ressourcen der Flotte zusammenkratzen, um zumindest mit einem Bruchteil der Besatzungsmitglieder einen neuen Heimatplaneten zu finden. Nur darf von diesem Plan nichts nach außen dringen, denn natürlich will niemand zum Sterben auf Enorus zurückbleiben. Immerhin, einen ebenso kleinen wie gewagten Hoffnungsschimmer gibt es noch: Die koreanische Flotte wäre in Reichweite. Die hätte sogar genug Ressourcen, will sie aber verständlicherweise nicht teilen. Ein heimtückischer Überfall scheint also die einzige Option – Doch unter den KanadierInnen befinden sich einige Besatzungsmitglieder, die noch so etwas wie ein Gewissen haben...
„Enorus“ ist zweifelsohne der interessanteste Band der (bisher) fünfteiligen Anthologie-Reihe. Denn hier geht es nicht darum, ob man aus Eigennutz mal ein paar fremdartige Außerirdische wegballern darf (wobei die Menschen ja eigentlich die Außerirdischen sind). Nein, es geht hier um die viel größere Moral-Frage, ob man für das eigene Überleben gewillt ist, seine Mitmenschen über die Klinge springen zu lassen. Und zwar nicht nur fremde Mitmenschen, von denen eh nur noch wenig übrig sind (die Flüchtlinge der verschiedenen „Conquest“-Flotten sind ja nur noch die letzten Überbleibsel der untergegangenen Erde), sondern auch enge FreundInnen und Verwandte, die eben nicht als systemrelevant eingestuft wurden. Ein moralisches Dilemma also, bei dem man sich beim Lesen die ganze Zeit selbst fragt, ob man nicht genauso handeln würde. Dadurch verwischen die Grenzen von Gut und Böse beziehungsweise von Prota- und AntagonistInnen schnell, was diese Geschichte unglaublich ambivalent und nachdenkenswert macht. Klar, auch „Enorus“ ist jetzt kein tiefgehendes Charakterdrama und auch keine philosophisch tiefgehende Abhandlung, dafür fehlt dem 72 Seiten starken Hardcover vom „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) einfach der Platz. Aber er wertet eine Anthologie-Reihe auf, die zwar stets mit sehenswerten SciFi-Schauwerten protzen konnte, die aber in manchen Bänden (besonders „Urania“) doch arg flache Geschichten erzählte. Und so sind die teils wirklich tollen Zeichnungen, gerade auch die Inszenierung der finalen Raumschlacht, in diesem Abschlussband sogar eher ein sehr netter Eyecandy-Bonus zur Geschichte anstatt der primäre Kaufgrund :-)
Fazit: Ich hätte es ja nicht gedacht, aber die Zusammenarbeit der beiden unterschiedlichen Autoren Jarry & Istin hat tatsächlich eine homogenes, spannendes und ambivalentes SciFi-Drama geschaffen, in dem jeder der beiden seine Stärke ausspielen konnte. Damit bildet der Abschlussband „Conquest #5 Enorus“ (Link) eindeutig (gemeinsam mit dem Auftaktband „Islandia“) die qualitative Speerspitze einer ohnehin wirklich guten SciFi-Reihe.